Michael Fehr
Text und Kontext. Die Entwicklung eines Museums aus der Reflexion seiner Geschichte.

In seinem 1984 erschienenen Buch The Clothing of Clio. A Study of the Representation of History in Nineteenth Century Britain and France, entwickelte Stephan Bann die Idee eines ironischen Museums, eines Museums, “das in der Lage sein solle, zwei alternative, doch nicht gänzlich widersprüchliche Lesarten der ausgestellten Objekte zu beherbergen.” Dabei bediene sich das ironische Museum “sowohl der integrativen, verbindenden Mechanismen der Synekdoche als auch der dispersiven, isolierenden Mechanismen der Metonymie” und trachte nicht danach, sie zu hierarchisieren oder wählbar zu machen, sondern sich zwischen beiden zu bewegen, “indem es die wechselnden Bewußtseins- und Wahrnehmungsmöglichkeiten des Publikums” nutze.

Rückblickend erkenne ich, daß die Idee eines ironischen Museums, mit der ich 1986 zum ersten Mal konfrontiert wurde, der Schlüssel war, nach dem ich bei meinen eigenen Untersuchungen des Museums gesucht hatte, und die mich immerhin schon die These hatten aufstellen lassen, daß die Grundoperationen des Museums so gut wie nichts mit Wissenschaft zu tun haben, sondern im Kern nur als eine rhetorische Form des Argumentierens verstanden werden können. Diese Einsicht war das Ergebnis einer theoretischen Beschäftigung mit dem Museum, die mir nach nahezu einem Jahrzehnt praktischer Arbeit an einem Kunstmuseum notwendig erschien. Denn diese Arbeit, die unter anderem darauf abzielte, das Kunstmuseum für sozialpolitische Fragestellungen - zum Beispiel für Fragen der Stadtplanung oder die Sache der sogenannten Gastarbeiter zu öffnen - führte, vielleicht gerade, weil sie einen gewissen Erfolg hatte, zu einer Kritik aus dem kleinbürgerlichen Lager, die schließlich nur noch durch meine Entfernung aus dem öffentlichen Dienst befriedet werden konnte. Auf diese Weise nachdrücklich veranlaßt, mein Engagement zu überdenken, kam ich auf die Idee, daß wenn, wie Herbert Marcuse in 'Über den affirmativen Charakter der Kultur' schrieb, das Museum tatsächlich der Ort sein sollte, in den die bürgerliche Gesellschaft ihre Ideale und utopischen Ideen projiziere, es eine sinnvolle Strategie sein könne, Kunst und Museum in ihrem Eigensinn ernst zu nehmen und den Versuch zu machen, deren Errungenschaften auf das Leben rückzubeziehen. Mit anderen Worten: Als ich vor gut zehn Jahren die Gelegenheit erhielt, wieder an einem Museum zu arbeiten, sah ich die Chance für eine Repositionierung des Museums im gesellschaftlichen Kontext weniger in einer künstlerisch-musealen Bearbeitung gesellschaftspolitischer Fragestellungen, als vielmehr in der Thematisierung seiner eigenen Epistéme und der damit verbundenen inhaltlichen Vorstellungen. Dabei erscheint mir vor dem Hintergrund der sich in der letzten Dekade rapide voranschreitenden Kommerzialisierung der Kultur und ihrer damit verbundenen Neuformatierung nach Maßgabe der in den Massenmedien entwickelten Standards das Ziel, sich die spezifisch musealen und künstlerischen Wahrnehmungsformen und Darstellungsmöglichkeiten bewußt zu machen und sie gegenüber den allfälligen Angeboten der Kulturindustrie zu auszuspielen, aktueller denn je - auch wenn dies unter anderem bedeutet, daß man, um sie zu begreifen, sich womöglich aus dem Tagesgeschehen entfernen und mit der Geschichte der Museen beschäftigen muß. weiter